Filme mit Heidelbeeren entwickeln

Stefanie Weberhofer | Signal Blogeintrag 26. August 2023

Denk ich an Heidelbeeren, denk ich an Ingrid. Es ist eine Verbindung, die tief in meinen Hirn verankert ist. Heidelbeeren - Ingrid.
Gemeint ist Ingrid Lettner-Brandner vom Fastenberg. In der Region und bei den Gästen ist die inzwischen pensionierte Wirtin für ihren legendären Heidelbeerkuchen bekannt. Inzwischen ist sie Expertin für Alpenkräuter und stellt verschieden Produkte aus Naturmaterialien her, wie selbstgemachten Seifen, Tees und Cremen.
Damit ist sie die perfekte Ansprechpartnerin für mein nächstes Vorhaben: Do-it-Yourself-Bio-Filmentwickler aus Heidelbeeren! 

Ich stelle regelmäßig selbst Filmentwicklungschemie für Schwarz-Weiß-Filme her. Bei einem hohen Verbrauch ist das einerseits wesentlich günstiger und andererseits ist die damit einhergehende Unabhängigkeit und Selbstermächtigung ein wesentlicher Teil meiner künstlerischen Praxis.
Sogenannter Bio-Filmentwickler – also eine Alternative zu herkömmlichen und umweltschädlichen Filmentwickler – interessiert mich schon lange und jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, sich damit zu beschäftigen.

Ich recherchiere online in Blogs und Foren über Erfahrungen, die andere Menschen gemacht haben. Filmentwickler aus Kaffee (das nennt sich dann Caffenol) ist der Klassiker unter den Bio-Filmentwicklern, seit 1995 vielfach reproduziert, simpel herzustellen und liefert verhältnismäßig sichere Ergebnisse. Es gibt auch Rezepte mit Bier (Biernol), Rotwein (Rotweinol?), Tees, Kräutern, Obst, Gemüse und viele, viele andere Zutaten. Besonders die deutsche Filmemacherin Dagie Brundert hat sich intensiv damit auseinandergesetzt und ihre Erfahrungen und Resultate dankenswerterweise auf ihrer Webseite veröffentlicht. Je weiter ich vordringe, desto mehr habe ich das Gefühl, Filme kann man sowieso mit Allem entwickeln.
Ganz so ist es aber nicht.
Die essentielle Zutat nennt sich Polyphenol – eine chemische Verbindung die ausschließlich in Pflanzen vorkommt. In unserem Körper wirken Polyphenole wie Antioxidantien und schützen vor freien Radikalen – als Laie weiß ich nur, dass das gesund ist.

Heidelbeeren – um wieder zurück zum Thema zu kommen – sind auch sehr gesund. Und sie haben einen sehr hohen Anteil Polyphenole - besonders die echten Schwoazbea ausm Schochn, nicht die blauen Kugerl aus dem Supermarkt. Heidelbeeren sollten sich also hervorragend zum Filmentwickeln eignen. Rezepte finde ich dazu leider keine.
Allerdings eines über Salbei, das vielversprechend aussieht. Nachdem Ingrid bei ihrer Polyphenol-Recherche auf Salbei neugierig geworden ist, wollten wir damit unsere Filmentwicklungstests beginnen.

Aber halt – bevor der Film entwickelt wird, müssen wir natürlich noch drehen. Wir ziehen uns also Schochn-Schuach und a Schochn-Hosn an, ich lade meine Braun Nizo Super8 Kamera mit frischem Kodak TriX Schwarz-Weiß-Film und dann geht es los. Ich filme Ingrid beim Schwaozbea brockn im Schochn für die Dauer einer Filmkassette, also 3 Minuten und 20 Sekunden.
Danach wird der erste Teil des Films in einen lichtdichten Tank geladen. Normalerweise mache ich das in der Dunkelkammer, dieses Mal reicht mir dafür auch Ingrids Klo. Im Labor - also der Küche - starten wir dann den ersten Versuch:

Test 1: Salbei-Filmentwickler
Zutaten:
- 11g Salbei (aus Ingrids Garten)
- 16,22g Vitamin C (hab ich aus Wien mitgebracht)
- 54g Waschsoda (hab ich auch mitgebracht)
- 1 Liter Wasser (aus der eigenen Quelle)

Zubereitung:
Den Salbei ein bissl im Wasser kochen, dann abkühlen lassen auf etwa 30 Grad, den Salbei abseihen, das Vitamin C und das Waschsoda (sollten vorher schon zusammengemischt werden) zur Flüssigkeit dazugeben. Fertig.
Mit einem ph-Wert Indikator-Teststreifen kontrollieren wir das Ergebnis: 9,5 sollte passen. Spannend ist auch, dass sich die Farbe des Flüssigkeit ändert, sobald das Pulver dazukommt – Chemiemagie.
Danach wird der Film 15 Minuten in dieser Flüssigkeit im Tank entwickelt. Als Daumenregel gilt da: Je höher die Temperatur, desto kürzer muss die Entwicklungszeit sein. Abschließend wird der Film fixiert (mit einem herkömmlichen Schwarz-Weiß-Fixierer aus dem Fotofachgeschäft, ein zuverlässiges Produkt selbstherzustellen ist fast unmöglich).

Und?
Wir öffnen gespannt den Tank...
Juhu!
Es hat geklappt. Wir haben Bilder. Es ist unglaublich.
Wir halten den Filmstreifen in der Hand und bewundern das Ergebnis.
Schwarzweiß-negative 8mm breite kleine Bilder, die Ingrid beim Schwoazbeabrockn zeigen. Wunderbar.

Jetzt müssen wir gleich weitermachen und unseren ursprünglichen Plan verfolgen. Wir adaptieren das Salbei-Rezept für Heidelbeeren und erhöhen die Menge, aufgrund des geringeren Inhalts von Phenolen. Klassische Schlussrechnung.

Test 2: Heidelbeeren-Filmentwickler
- 15g Heidelbeeren
- 16g Vitamin C
- 54g Waschsoda
- 1 Liter Wasser

Die Beeren vorher zerstampfen, kochen, abseihen. 15 Minuten bei 27°C entwickeln.

Voilá!
Es hat wieder geklappt, auch wenn der Ergebnis jetzt anders aussieht. Es ist kontrastreicher, das Korn ist feiner. Es sieht eigentlich noch besser aus als Salbei.

Wir sind motiviert, weiter geht es mir Test 3, weil gerade Saison ist und weil wir sie lieben: Eierschwammerl. Wir orientieren uns dabei an einem Rezept von Dagie Brunderts Webseite.

Test 3: Eierschwammerl-Filmentwickler
- eine handvoll Eierschwammerl, klein geschnitten
- 20g Vitamin C
- 100g Soda
- 1 Liter Wasser

Wir entwickeln bei 30°C für 15 Minuten.

Inzwischen sind wir Profis, mit einer Routine öffnen wir den Tank und begutachten das Ergebnis. Es ist sehr hell, grobkörniger und hat einen leichten bräunlichen Stich, also eine Sepia-Färbung. Das ist alles sehr spannend, wir philosophieren über Zusammensetzungen, Auswirkungen und interpretieren die Ergebnisse, während wir einen abschließenden Test vorbereiten (und uns über den Eierschwammerl-Toast später freuen).

Test 4: Pfefferminz-Filmentwickler
- 1,5g Pfefferminz (also sehr wenig)
- 16g Vitamin C
- 54g Waschsoda
- 1 Liter Wasser

Pfefferminze hat einen sehr hohen Polyphenol-Gehalt. Laut nutritionadvice.comkommen 100g getrockente Pfefferinze auf 11.960mg Polyphenole. Im Vergleich: Salbei hat 1.207mg, Waldheidelbeeren 836mg, Kulturheidelbeeren 560mg. Nur Nelken haben noch mehr: 15.188mg auf 100g. Die interessieren uns jetzt aber nicht, Pfefferminze hingegen gibt’s auch in Ingrids Garten und wird deshalb gleich zu Filmentwickler verkocht.

Weil die Pfefferminze soviele Polyphenole hat, entscheiden wir uns die Entwicklungszeit zu verkürzen. Ein typischer Fehler, wenn die Geduld nach einem langen Tag im Chemielabor, also der Küche, nachlässt und man schonlieber einen Eierschwammerl-Toast essen möchte. Statt 15 Minuten entwickeln wir nur 10 Minuten.

Das Ergebnis ist sehr hell, zu hell. Wir entwickeln das Negativ, das Positiv ist also zu dunkel.
Aber die Bilder sind trotzdem erkennbar. Auf alle Fälle riecht der Film ausgesprochen gut.

Während die 15 Meter trocknen (wir haben sie dazu über den Lampenschirm gehängt) ist es jetzt endlich Zeit zum Essen. Die restlichen Schwoazbea werden nach Wien genommen, eingefroren und noch Wochen danach genossen.

Den Film projiziere ich mit dem Super8 Projektor in meinem Atelier an die Wand. Ich kann alles erkennen, es schaut gut aus, riecht noch immer fantastisch nach Pfefferminztee, aber da es ein Negativ. Da ist es schwer zu beurteilen, wie gut es geklappt hat. Ich lasse den Film also digitalisieren. Im Scan kann ich ein Positiv daraus machen und die Helligkeit anpassen, bei Kontrast und Korn sehe ich aber klar die Unterschiede: Tatsächlich lieferte die Heidelbeere die schönsten Ergebnisse. Als ob ichs gewusst hätte.

Alles in Allem war das Ganze ein sehr spannendes und aufschlussreiches Experiment. Ich bedanke mich sehr herzlich bei Ingrid für Ihre Zeit und den lustigen und interessanten Tag in der Hexenküche. Die Verbindung ist nun noch tiefer: Heidelbeeren – Ingrid und erweitert mit Filmentwickler.

La Strada

25. Juli - 2. August 2025

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